Kürzlich bin ich in meine alte Heimatstadt zurückgekehrt.
Ich kam aus dem Westen und fuhr die Straße entlang, die einst die Via Belgica war, die die Römer über eine noch ältere neolithische Route gebaut hatten.
Bevor ich die eigentliche Stadt erreiche, fahre ich einem sehr schönen Friedhof vorbei, der einst die Leprakolonie und Hinrichtungsstätte war. Den Galgen und den Rabenstein mit pummligen Raben gibt es nicht mehr.
Ich fuhr im dichten Abendverkehr auf der selben Route in die Stadt, wie Tausende von Sträflingen in die andere Richtung getrieben oder geschleift worden waren. Räuber, Mörder, Giftmörder, Freibeuter, Fälscher, Diebe, Erpresser, Entführer, Vergewaltiger und ihre Opfer, aufständische Bauern, Ketzer, Hexen. Einst der gruseligste Ort und heute der friedlichste Teil der Stadt.
In der feuchten Spätsommerluft türmten sich Gewitterwolken auf. Ein dramatische Spiel von Schatten und Licht, das den drohenden Wolkenbruch für Maler so interessant macht.
"Oh Heiland reiß die Himmel auf", schleicht sich in meine Gedanken. Vielleicht am schönsten in der Brahms-Fassung. Diesen Weg dürfte auch Friedrich Spee gegangen sein. Er soll der Beichtvater von Hexen gewesen sein. Er glaubte nicht, dass die durch Folter erzwungenen Geständnisse wahr waren. Er war vielleicht auch sicher, dass die meisten Todesurteile ungerecht waren. Trotzdem ging er den ganzen Weg dorthin und zurück in die Stadt. Ja, er hat heimlich die Cautio Criminalis geschrieben, die große Schrift gegen die Hexenprozesse. Er schrieb aber auch das Trutznachtigall, das goldene Buch der Tugend. Ich habe beides irgendwo. Ich beschließe, es wieder aus zu graben, wenn ich nach Hause komme.
Apropos Ausgraben. 1980 wurde sein Grab in der Trierer Jesuitenkirche gefunden. Spee starb in Trier an der Pest. Der Professor und Dichter infizierte sich bei der Pflege kranker Soldaten.
Mitten in der Stadt ist die Kathedrale groß und von außen dunkel und von innen voller Licht.
Aber mein heutiges Ziel ist die Madonna in den Ruinen. Als die Bomber 1943 die schöne alte romanische Kirche St. Kolumba in Schutt und Asche legten, blieben nur noch ein Stück Mauer und eine Säule mit der kleinen spätgotischen Madonna übrig. Unsere Liebe Frau ist leicht verletzt, aber sie hält ihr Kind.
Sie hielt Ihn in ihren Armen, als die Borgias Päpste waren, als die Reformation das Land zerriss, die Franzosen die Hohe Kathedrale in einen Pferdestall verwandelten, die SA durch die Straßen marschierte, die Bomber kamen.
Sie sieht nicht so aus, als hätte sie vor, jetzt zu gehen. Ihr Mantel ist in vielen Falten gerafft, man sieht noch das Blau. Ich bin mir sicher, dass wir alle darunter passen werden.
Sub tuum praesidium confugimus, Dei Genetrix..
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